Fussball: Portrait von Kevin Rüegg in der Zeitung

Begonnen hat seine Sportkarriere mit Handball, aber das war eine kurze Episode. Kevin war sechs Jahre alt, als sein Vater ihn in sein erstes Training begleitete. Doch sie schickten ihn gleich wieder nach Hause, weil er seine Turnschuhe noch nicht selber schnüren konnte. «Mir war das recht. Ich wollte ohnehin lieber Fussball spielen.» Also brachte ihn sein Vater ins Fussballtraining zum FC Greifensee. Natürlich wusste Kevin damals noch nicht, dass er besonders talentiert ist. Es machte ihm einfach Spass, zusammen mit den anderen Jungs dem Ball nachzurennen
und Tore zu schiessen. Und er habe einen Traum: «Ich wollte möglichst schnell zu meinem Lieblingsverein, dem FC Zürich.» Man vertröstete ihn, das komme frühestens mit fünfzehn oder sechzehn Jahren in Frage. Als Kevin zehn war, spielte er mit den D-Junioren des FC Greifensee gegen die Grasshoppers. Der Fussballbegeisterte gehörte zu den Besten auf dem Platz, war schneller als die anderen und spielte für sein Alter erstaunlich virtuos. Am Spielfeldrand beobachtete ein Talentscout des FCZ das Geschehen und sah: Der Junge hat Potenzial. Kevin dürfe bei den FCZ-Junioren ein Probetraining absolvieren. Dann ging alles sehr schnell. Er wechselte in die Zürcher U11 und bekam gleich einen Stammplatz.

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ENORMER DRUCK
Das ist lange her, 2008. Hunderte von Trainings und Spielen hat er seither absolviert, Höhen und Tiefen durchlaufen, mit der Nationalmannschaft gespielt, Verletzungen überstanden. Kevin sitzt am Tisch, trinkt Wasser und erzählt, hin und wieder lacht er. «Ich habe in diesen Jahren viel gelernt, Schönes erlebt, aber
es gab auch schwierige Phasen.» Die Konkurrenz unter den Spielern ist gross, der Druck enorm. Wer es nach ganz oben schaffen will, muss alles geben. Talent alleine genügt nicht. Es braucht auch Disziplin. Man muss hart trainieren, sich durchbeissen und darf nicht aufgeben, wenn es einmal nicht gut läu&. Kevin hat das alles erlebt. Im Gespräch betont er, wie wichtig auch das Mentale sei, gerade in Momenten, in denen man an sich zweifle. Ein Mentaltrainer unterstützt ihn im Aufbau von Selbstvertrauen. Er hat ihm gesagt: «Schau in den Spiegel und sag, du bist gut.» Kevin will seinen Traum verwirklichen, Fussballprofi werden. Dafür ist er auch bereit, auf einiges zu verzichten. Während andere in seinem Alter Partys feiern, konzentriert sich der 18-Jährige auf den Fussball. «Natürlich gehe ich ab und zu aus. Aber ich darf es nicht übertreiben.»

Kevin und seine Eltern, die ihn immer unterstützt haben, tun alles, damit er im Fussball erfolgreich ist. Mit fünfzehn zügelte der Teenager nach Luzern, lebte bei einer Gastfamilie und besuchte das Ausbildungszentrum Emmen, eine Einrichtung des schweizerischen Fussballverbandes. Während zwei Jahren absolvierte er in der Innerschweiz die Sekundarschule und trainierte täglich mit anderen angehenden Fussballprofis. Am Freitag kehrte er jeweils nach Hause zurück und trainierte nochmals mit seinen Zürcher Mannscha&skollegen. Am Samstag oder Sonntag fanden die Spiele sta$: in Zürich, Basel, Bern, Genf, St. Gallen oder Lugano – in der ganzen Schweiz. Kevin erlebte eine tolle und erfolgreiche Zeit. Neben seinem Engagement im Club spielte er regelmässig in der Nationalmannscha&, in der U15, U16 und U17. Mit der U17 nahm er an der Europameisterschaft in Malta teil.

RÜCKSCHLÄGE

Auf einmal gab es Rückschläge. Etwas stimmte mit seinem Rücken nicht mehr. Immer wieder musste Kevin wegen starker Schmerzen das Spielfeld verlassen. Ein Auf und Ab. Physiotherapie, Arztbesuche und regelmässige Trainings-und Spielunterbrüche. «Es war zum Verzweifeln», erinnert er sich. «Aber die Ärzte haben nicht herausgefunden, was es war.» Doch dann verschwanden die Rückenschmerzen auf einmal und Kevin erlangte wieder Topform. Er schaffte es ins Kader der U21. Dann warf ihn ein Innenbandriss erneut zurück, so dass er zwei Monate pausieren musste. Das war Anfang Jahr. Er hat sich zurückgekämpft. Seit mehreren Monaten läu& es ihm gut und er hat seinen Stammplatz in der U21 zurückerobert. Er ist im Kader der Nationalmannschaft und kam sogar während einer Halbzeit in der ersten Mannschaft des FC Zürich zum Einsatz. Kein Zweifel: Er will sein Ziel erreichen. «Wenn ich in der U21 meine Leistungen bringe, habe ich Chancen, weiterzukommen. Das attestieren mir auch andere.» Leistungssport und eine Berufsausbildung lassen sich schwer vereinbaren. Für viele erfolgreiche junge Spieler ist es zudem verlockend, nur auf Fussball zu setzen. Wenn sie in der ersten Mannschaft spielen, geniessen sie Anerkennung und verdienen viel Geld. Ein schönes Leben, teure Autos und am Samstag der Jubel der Fans. Da mögen einige nicht an Ausbildung denken und auch nicht an die Zeit nach dreissig, wenn Kra! und Tempo nachlassen und das Ende der sportlichen Karriere naht. Auch Kevin träumt davon, mit Fussball einmal viel Geld zu verdienen. Aber er weiss auch, wie wichtig es ist, neben dem Sport eine Ausbildung zu absolvieren. Damit er Sport und Schule unter einen Hut bringt, besucht er die United School of Sports in Zürich, wo er das KV macht. Anstelle von drei Jahren dauert die Berufsausbildung vier Jahre. Dafür kann Kevin siebenmal pro Woche trainieren und auch mehrere Tage fehlen, wenn er für die Nationalmannschaft im Einsatz steht. Die Hälfte seiner Lehrzeit, den zweijährigen schulischen Teil, hat Kevin im Juli beendet. Drei Fächer hat er bereits abgeschlossen: Englisch, Französisch und IKA – und bestanden. An der United School of Sports fühlt er sich wohl, auch weil er Sportler aus ganz unterschiedlichen Disziplinen kennengelernt hat. Über 300 Lernende aus 38 verschiedenen Sportarten besuchen die grösste Berufsfachschule für Sporttalente der Schweiz. «Ich traf Schwimmer, Tänzer, Handballer, Eishockeyspieler, Kunsturner und Triathleten. Das war spannend.»

BÜRO UND FUSSALLPLATZ
Nach der theoretischen Ausbildung an der United folgt ein zweijähriger praktischer Einsatz in einem Partnerbetrieb der Schule. Kevin arbeitet seit August bei der Stadtverwaltung Dübendorf. Die Schule besucht er nur noch an einem Nachmittag. Anstelle des zum Teil lockeren Schulbetriebs hat der Lernende nun einen Bürojob mit geregelten Arbeitszeiten. Um acht Uhr ist Kevin am Arbeitsplatz, wo er bis kurz vor Trainingsbeginn arbeitet. Freie Nachmittage gibt es nicht mehr. Die Tage sind durchgetaktet. «Ich musste mich daran gewöhnen. Aber andere haben das auch geschafft.» In der Abteilung Sicherheit lernt er das kaufmännische Handwerk kennen und unterstützt seinen Vorgesetzten und das Team bei diversen Aufgaben. Er erledigt Telefonate, organisiert Termine, schreibt Mails. Sein Arbeitgeber ist flexibel und kommt Kevin bei der Vereinbarung von Job und Training entgegen. Am Montag und Mi’woch besucht er auf der Sportanlage Heerenschürli das Morgentraining. «Ich muss einfach darauf achten, dass ich mein 60-Prozent-Pensum erfülle.» Kevin hat gute Chancen, seinen Lebensunterhalt einmal mit Fussball zu bestreiten. Für dieses Ziel gibt er alles, auf dem Platz und im Alltag. «Aber ich bin auch froh, habe ich durch das KV eine solide berufliche Grundbildung und Absicherung», sagt er. «Man weiss nie, was die Zukun! bringt.» Die unberechenbaren Karrieren von vielen Fussballern geben ihm recht.